Weiter geht es Richtung Süden. Von diversen Seiten habe ich bereits gehört, dass Melbourne eine schöne Stadt sein soll. Offenbar extrem „laid back“ und relativ „Europäisch“. Wegen der Flut in Queensland habe ich mir die klassische Backpacker-Route ohnehin aus dem Kopf geschlagen und außerdem schulde ich einem Australier, den ich in den Rockies getroffen habe, ein Bier. Oder er mir? So ganz sind wir uns darüber nicht einig, aber als gute Deutsche muss ich das Thema „Bier“ ernst nehmen, soweit geht selbst mein Nationalstolz.
So leicht mir die Entscheidung für mein nächsten Zieles auch fällt, in der Reise an sich ist der Wurm drin, so dass ich mich zwischenzeitlich wirklich frage, ob ich dort vielleicht gar nicht hinfahren sollte. Entgegen aller Vermutungen deutscher Mädels, finde ich zwar problemlos ein Hostel in St. Kilda, das nicht einmal übermäßig teuer ist. Leider ist der Bus, den ich gerne nehmen möchte aber ausgebucht, ich muss also einen weiteren Tag in Canberra bleiben. Naja, geht auch rum…
Also rufe ich im Hostel an, um meine Buchung zu verschieben und erfahre, dass ich gar nicht mehr einchecken kann, wenn der Bus aus Canberra in Melbourne ankommt. Aber es finde sich bestimmt eine Lösung, ich solle doch am Tag meiner Anreise morgens nochmal anrufen. Gesagt, getan und schon erfahre ich, dass es keine Ausnahmen gibt. Keine Möglichkeiten, den Schlüssel irgendwo zu hinterlegen, mir PIN-Nummern zu hinterlassen oder was auch immer ich in den letzten Monaten so an abenteuerlichen Varianten erlebt habe. Mir bleibt nur, mir ein neues Hostel zu buchen. Sehr schön, dass ich das jetzt erst erfahre… schließlich habe ich nicht mehr allzulange Zeit, bis mein Bus abfährt grrrrrrrr. Also suche ich mal wieder nach einer Möglichkeit, mich irgendwo ins Internet einzuloggen, es gelingt mir, ich buche ein anderes Hostel. Soviel zur Hostel-Situation in Melbourne… allerdings ist es teurer, wegen der Aussie Open. Auch egal, ändern kann ich es nicht und für noch ein paar weitere Tage hat Canberra dann wirklich nichts mehr zu bieten.
Auf dem Weg durch die Stadt treffe ich eines der deutschen Mädels, von der ich weiß, dass sie das gleiche Hostel in Melbourne gebucht hat, allerdings zwei oder drei Tage später. Also erzähle ich ihr von dem Problem beim Einchecken und sie verfällt sofort in Panik. Sie wollte sich doch jetzt eigentlich das Kriegsdenkmal ansehen, aber jetzt muss sie wohl doch erst wegen eines anderen Hostels gucken und das kann ja nicht sein und sowas aber auch und Mist und Panik und Aaaaahhhhh… Schnell mache ich mich aus dem Staub, für so dramatisch halte ich das nun alles auch nicht, vor allem, wenn man noch ein paar Tage Zeit hat. Setzt mit der Weisheit des Alters etwa auch eine gewisse Ruhe ein, derer ich mir bisher noch gar nicht bewusst war?
Ich gehe zum Busbahnhof, möchte einchecken und erfahre, dass ich gar nicht auf den Bus gebucht bin. Die Gute am Schalter hat mich für einen weiteren Tag später eingetragen. Danke dafür. Dieser Umstand macht mich nicht gerade glücklich, hatte ich ja vor wenigen Minuten erst ein neues Hostel gebucht und so gerne ich mich auch in Museen herumtreibe… jetzt reicht es mal mit dieser Hauptstadt. Kurz ärgere ich mich ziemlich, dann aber überkommt mich doch wieder der Schluss, dass ich mich nicht beschweren werde, wenn Zwischenfälle wie dieser das Schlimmste sind, was mir auf dieser Reise passiert. Also überdenke ich meine Optionen.
Wie so oft ist das Einzige, was ich tun kann: Mädchen spielen. In diesem Fall gehe ich zum Busfahrer, glücklicherweise sind es gleich zwei. Ein bisschen Jammern und hier und da und warten und traurig gucken und Jammern und plötzlich findet sich noch ein Platz im Bus… Geht doch.
Dank der australischen Greyhound-Philosophie sitze ich auch diesmal wieder ausschließlich neben gewaschenen Personen und höre von keiner Seite Geschichten über Gefängnisaufenthalte und Drogenentzüge. Kurz frage ich mich, ob ich das vermisse, entscheide mich aber doch dagegen.
… und dann kommen wir auch irgendwann relativ spät abends in Melbourne an. Es gibt keine weiteren Zwischenfälle, was mich dann doch sehr beruhigt.
Kurz zur Begriffsklärung: Es heißt nicht „Melböööörn“ und schon gar nicht Melborn (Ist nämlich auch gar nicht die kleine Schwester von Herr Born – Danke, Habi!), sondern schlicht und ergreifend „Melbn“. Dass die hier vom Verschlucken der ganzen Vokale keine Verdauungsprobleme haben, wundert mich. Offensichtlich handelt es sich hier wirklich um die Westinsel Neuseelands… aber genau diese Kommentare erspare ich mir wohl am besten, so lange ich hier bin…
Im Hostel angekommen, begebe ich mich für ca. 10 Minuten in den Aufenthaltsraum, um kurz vor dem Einschlafen noch eben meine Mails zu checken. Und was passiert genau in eben diesen 10 Minuten? Genau. Ich höre ein „I can’t believe it!!! Anna!!!“ Es ist Aafke. Eine Holländerin, die ich aus Neuseeland kenne und die kurz im Hostel vorbeischaut (in dem sie gar nicht wohnt), um dort Freunde zu besuchen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie ich mich freue. Die Welt der Reisenden ist offensichtlich verdammt klein. Wir quatschen kurz, dann muss sie weiter und trotz diverser Versuche schaffen wir es leider nicht, uns in den kommenden zwei Tagen nochmal zu verabreden. Zuerst ist immer eine von uns beschäftigt und als wir es fast schaffen, muss sie mit einer Freundin ins Krankenhaus, die sich irgendwas an der Hand getan hat. Schade eigentlich.
Nach einer ordentlichen Mütze Schlaf (habe ich eigentlich bereits gestanden, dass 10-12 Stunden pro Nacht nach wie vor meine Norm sind?), packe ich meine sieben Sachen und ziehe in das ursprünglich gebuchte Hostel in St. Kilda. Mein erster Eindruck von dem Hostel ist grauenhaft, der der Stadt hingegen verdammt gut. Ich laufe ein Wenig durch die Gegend, freue mich über die gute Atmosphäre und stelle fest, dass ich mich gerade zum ersten Mal auf dieser Reise in einer Stadt befinde, in der ich mir vorstellen könnte zu leben. Ja… Melbourne hat wirklich etwas europäisches mit seinem Mix aus relativ alt (so richtig geht das natürlich nicht), modern und den kulturellen Angeboten an jeder Ecke. Was auch immer es ist, die Stadt hat Charme, die Sonne scheint, die Anna freut sich.
Am Abend treffe ich Chris, den Australier, um meine Bierschulden einzulösen. Außerdem freue ich mich darauf, endlich mal einen lokalen Stadtführer zu haben und etwas mehr zu erfahren, als das, was mir der Lonely Planet erzählt. Diese Hoffnung wird allerdings schon nach wenigen Minuten enttäuscht, denn der Gute stellt sich sehr schnell als hundsmiserabler Tourguide heraus. Dafür kennt er sich mit Cafés und Kneipen bestens aus – auch ein Weg, die Stadt kennenzulernen. Wir laufen durch kleine Straßen und mehrfach durch Gässchen, in die ich alleine vermutlich nie gegangen wäre, öffnen scheinbar wahllose Türen in x-beliebigen Hauswänden und dahinter verbergen sich oft winzige, manchmal aber auch recht große, individuelle Bars und Cafés. Melbourne hat mich ja bereits tagsüber begeistert, aber die Tatsache, dass es hier nun wirklich keinen Grund gibt, bei Starbucks einzukehren freut mich umso mehr.
Wieder einmal ist es schön jemanden zu treffen, mit dem die Fragen nach Name, Herkunft, Alter, bisherige und kommende Reiseziele bereits geklärt sind. Trotzdem ist Reisen natürlich immer ein Thema und irgendwann erzähle ich, dass ich Hawaii so gar nicht mochte und nicht einmal ein Schirmchen in meinem wohlverdienten Cocktail hatte. Als wir später in einer Cocktailbar landen (die wohl früher mal ein Puff war und heute immer noch sehr rosa ist), bekniet Chris die Bedienung so lange, bis die ihr letztes Schirmchen für meinen Cocktail herausrücken… dafür muss ich Melbourne jetzt wohl einen Paradies-Punkt geben, den Hawaii nicht bekommen hat… wobei die Strände bzw. das dazugehörige Wasser extrem fies sein sollen.
Irgendwann an diesem Abend lasse ich mich zu dem Statement hinreißen, dass mich das Hostelleben noch nicht nervt. Ich habe einen verdammt guten Schlaf, die wohl sinnvollste aller Eigenschaften beim backpacken und kann mich daher nicht wirklich beschweren. Irgendwann wieder einmal ein Zimmer oder gar ein Bad für mich alleine haben wäre schon schön, aber bisher ist alles in Ordnung. Das hätte ich mal besser nicht zu laut gesagt.
Als ich im Hostel ankomme, schleiche ich mich ins Zimmer, bahne mir mit der Taschenlampe den Weg zum Bad, mache dort Licht an und stelle fest, das noch keine der fünf Finninnen zurück ist. Gut. Kann ich Licht anmachen. Ich ziehe mich um, lasse das Licht im Bad zur Orientierung für alle anderen an, lege mich ins Bett (blos nicht darüber nachdenken, wie siffig hier alles ist…) und als ich kurz vorm Einschlafen bin geht geräuschvoll die Tür auf und das Deckenlicht wird angeschaltet (so eine schicke Leuchtstoffröhre, die erst ein paarmal flackert, bevor sie grell vor sich hin scheint). Danke schön. Aber damit nicht genug. Obwohl es sich um ein reines Mädchenzimmer handelt (zum ersten Mal seit langem bin ich in soetwas gelandet), höre ich sowohl weibliche, als auch männliche Stimmen darüber diskutieren, ob es sich bei mir denn um ein Mädchen oder einen Jungen handelt. Ich grinse in mich hinein und stelle fest, dass ich das – obwohl angeblich frisch gewaschene – unglaublich nach Fremdschweiß riechende Laken offensichtlich so um mich gewickelt habe, das keine verräterischen Körperteile herausgucken, sondern nur mein Kopf. Und dann ist ja alles klar: Kurze Haare, das muss ein Junge sein. War ja schon im Kindergarten so. Als die Diskussion nicht aufhört überlege ich kurz, ob ich das Laken doch lüfte, bevor ich mich endgültig entschieden habe beenden sie das Gespräch dann aber doch und die Finninnen und Begleiter entscheiden sich für eine wahllose Aufteilung auf Betten und Aufenthaltsraum. Das Licht geht noch 3-5 Mal an und aus, die Türe wird noch öfter geöffnet und geschlossen, ich höre Dinge, die ich nicht hören will aber der eigentliche Grund, warum ich nicht schlafen kann ist wohl, dass ich in dieser Nacht das Hostelleben wirklich verfluche. Hätte ich doch einfach mal meine Klappe gehalten… oder wenigstens auf Holz geklopft…
Am nächsten Tag erwartet mich ein weiteres Wiedersehen, denn auch Dhiren, „der Inder“, den ich aus Sydney kenne wohnt hier. Er verfügt über einen wunderbaren Teenager-Humor, weshalb der ganze Tag relativ albern wird. Alles beginnt mit einer kleinen Tour durch die Stadt (leider macht auch er sich als Guide nicht wirklich gut…) und als wir einen Straßenkünstler sehen, der Kunststücke mit zwei Glaskugeln vollführt, begehe ich den Fehler zu sagen „guck mal, ein Typ der mit Bällen spielt.“ Ich sage nicht mal „mit seinen Bällen“, aber für Dhiren reicht es zum Kichern. Und zwar nicht nur in diesem Moment, sondern für den Rest des Tages, wann auch immer irgendwer „Ball“ sagt, kann er sich kaum mehr halten. Und ratet mal, was wir am Nachmittag machen? Richtig. Wir gehen zu den Australian Open. Tennis gucken…
So ein Turnier ist schon spannend mitzuerleben, wobei wir keine Karten für den Centre Court sondern günstige Tagestickets hatten, mit denen wir uns den gesamten Tag auf dem Gelände aufhalten und kleine Matches ansehen konnten. Irgendwie zieht es uns meist zu den „Mixed“- Begegnungen. So hat jeder etwas zu gucken. Allerdings fällt es uns ziemlich schwer, uns auf ein Team zu einigen, für das wir uns freuen. Entweder sieht die Frau gut aus und der Mann ist hässlich, oder der Mann ist attraktiv und die Frau nicht. Rüschenröckchen bei Frauen scheiden ohnehin schonmal aus, da hilft auch ein extrem gut gebauter Spielpartner nicht… es ist wirklich nicht einfach. Einmal sind beide relativ ansprechend, wir uns aber schnell einig, dass wir unmöglich für eine Mannschaft sein können, in der Einer Rot trägt und die Andere Pink. So sind wir im Zweifelsfall einfach für die Australier, von wegen Stimmung. Und Stimmung und Jubeln und Schreien… das können sie, die Aussies.
Der Abend beginnt dann wie ein schlechter Witz: „Ein südafrikanischer Hindu mit indischem Backround, eine deutsche Katholikin und eine Gruppe Juden gehen in eine Cider-Bar…“
Diesen Satz wollte ich schon immer einmal schreiben, stelle ich in diesem Moment fest. Eine Pointe gibt es allerdings nicht, denn es war wirklich einfach nur ein schöner Abend mit lustigen Menschen, die es aus allen möglichen Flecken dieser Erde nach Melbourne gespült hat… unglaublich offene Menschen, mit denen Unterhaltungen über Gott und die Welt wirklich leicht fallen. Und das alles in einer weiteren schönen Bar, die halb Dachterrasse und halb Innenraum ist…
Schade eigentlich, dass ich morgen schon wieder weiter ziehe.