Anna auf Adrenalin

Ja, ich habe es getan. Ich bin aus einem voll funktionstüchtigen Flugzeug gesprungen. Warum? Der Kontrollfreak in mir sagt „Dann weißt du wenigstens, wie es ist… für den Notfall!“ Der Rest in mir sagt: „Warum eigentlich nicht?“

Am ersten Tag im Stray-Bus erzählte uns Curry, dass die beiden Dinge, die man in Neuseeland unbedingt machen muss „von einer Brücke hüpfen“ und „aus einem Flugzeug springen“ sind. Und ich denke mir noch: „Klar… ganz genau… und ich werde ganz gewisslich keins von beidem tun!“

Wenige Wochen später, kurz vor Wanaka hatte ich meine Meinung dann doch schon zu einem „Vielleicht sollte ich das mit dem Flugzeug in Betracht ziehen!“ geändert. Irgendwie scheint es hier so normal zu sein und all die Videos (ach nee… das heißt ja heute DVDs), Fotos und glücklichen Gesichter, die ich so gesehen habe, ließen dann doch eine gewisse Neugier erwachen. Besonders, weil es mir bei Filmen etc. vom Bungee-Jumping gar nicht so geht. Falls das irgendwie Sinn macht.

Irgendwann stand dann für mich fest: „Wenn ich das jetzt nicht mache, mache ich das nie in meinem Leben!“ Und der Gedanke gefiel mir plötzlich ganz und gar nicht. Wäre ja auch irgendwie doof. Und so wird es meine letzte Aktivität in diesem schönen Land, das mich so wunderbar entertaint hat. Über der „Bay of Islands“ soll es außerdem verdammt schön sein.

Heute Morgen stand dann leider nicht ganz fest, ob wir überhaupt springen können, wegen des Wetters. Aber die Aussichten waren doch irgendwie ok, also ab in den Shuttle-Bus, zusammen mit einer anderen Deutschen (Lisa), einer Amerikanerin, einem Engländer und einem Schweizer). Es dauert keine zwei Minuten und schon bin ich in eine ausgiebige Kabbelei mit dem Fahrer (Carl) verwickelt. Er ist Engländer und ich bin vor lauter Nervosität „auf Krawall gebürstet“ und außerdem heute irgendwie ziemlich schlagfertig. Klar, dass ich nachher ausgerechnet mit ihm springe…

Am Flugplatz angekommen unterschreibe ich wiedereinmal einen Zettel auf dem steht, dass ich niemanden für meinen Tot verantwortlich machen kann. Da mir dies heute sogar ziemlich einleuchtend erscheint, bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen und versuche mich dadurch zu beruhigen, dass die Jungs, die mit uns springen ja auch ein Interesse am Überleben haben. Wobei die wirklich abgebrüht sind. Zuerst startet die Maschine mit den Beiden, die von 12.000 Fuß springen. Als sie gelandet sind, legen die beiden Jungs die Fallschirme ab, greifen die nächsten und schon sind wir dran und nach uns gehen sie gleich wieder in die Luft.

Auch heute gibt es wieder extrem sexy Oberbekleidung und ein Geschirr, dass mir schon von meinem Höhlenabenteuer bekannt vorkommt, heute aber so fest geschnallt wird, dass ich kurz Angst habe, meine Beine wegen mangelnder Durchblutung zu verlieren. Dazu gibt’s einen schicken Hut und eine nicht weniger muntere Brille.

Nachdem Carl also das erste mal mit einem anderen Engländer gesprungen ist, der mit ca. 110 kg eigentlich das Maximalgewicht überschreitet, lässt er mich (immer noch außer Atem) wissen, dass er ziemlich geschafft ist und gibt mir den Auftrag: „Don’t kill me!“ Hatte ich nicht vor, denn das geht vermutlich auch für mich nicht gut aus… (wobei ich kurz vorher noch gelernt habe, dass die Fallschirme eine Art Zeitschaltuhr haben, sollte dem Springer was passieren) Für’s Archiv: „Nicht mit Menschen kabbeln, die zu irgendeinem Zeitpunkt für’s Überleben wichtig sein könnten. Dann bekommt man nämlich keine beruhigenden Worte, sondern nur weitere Sprüche, auf die man kontern muss. Und mir geht gerade der Allerwärteste auf Grundeis…

Also los in das kleine Flugzeug, in dem es mit 7 Personen (Pilot, zwei Kameraleute, zwei Springer und wir zwei deutschen Mädels) extrem kuschelig ist. Schon alleine der Flug ist schön, auch wenn wir wegen der Wolken nicht die ganze Zeit etwas sehen. Als wir bei ca. 8.000 Fuß sind, gibt’s noch ein kurzes Interview und dann irgendwann eine Ladung Sauerstoff für alle. Naja fast. Unsere Kameraleute bekommen keinen und das erklärt so einiges…. dann werde ich an Carl festgeschnallt und jetzt habe ich definitiv kein Blut mehr in den Beinen. Eine interessante Form der Nähe.

Meine Nervosität ist mittlerweile weg, wie schön, dass ich mich darauf verlassen kann, dass frühzeitiges Aufgeregtsein eigentlich immer dazu führt, dass ich mich gut fühle, wenn’s los geht…

Dann geht alles auch irgendwie schnell. Wir sind bei 16.000 Fuß angekommen. Kurze Zeichen zwischen allen Beteiligten, ich bekomme noch einmal gesagt, was ich tun soll und schon geht die Türe auf, mein Kameramann hängt sich raus, wir sitzen in der offenen Türe, Kopf zurück, noch einmal durchatmen und schon fallen wir…

Wow… einfach unglaublich… und erstaunlicherweise kein Stück beängstigend. Ich hatte mich extra für die höhere Variante entschieden, um etwas Zeit zu haben, mich nach dem ersten Schock zu sammeln und den Fall dann zu genießen, aber ich habe tatsächlich die gesamten ca. 60 Sekunden, in denen ich den freien Fall bei ca. 200 km/h genießen kann. Der absolute Wahnsinn. Erstaunlicherweise fühlt es sich nicht so schnell an, wie 200 km/h mit dem Auto. Die Sache mit den guten alten Referenzpunkten halt.

Wenn man so in die Tiefe rast kann man gar nicht anders, als lachen. Zum einen, weil es so ein wahnsinnig tolles Gefühl ist und zum anderen, weil man vor lauter Luft im Gesicht den Mund ohnehin nicht zubekommt. Meine Kontaktlinsen weht es irgendwann heraus und sie hängen in meiner schicken Brille. Zum Glück sehe ich trotzdem noch genug, um die Aussicht zu genießen, bzw. bin soweit oben, dass meine Kurzsichtigkeit keine Rolle mehr spielt. Dann gibt es plötzlich einen leichten Ruck (auf den Fotos sehe ich, dass es mich in einen 90 Grad-Winkel ruckelt), der Fallschirm geht auf und unsere Geschwindigkeit verlangsamt sich merklich. Das gesamte Empfinden wird plötzlich anders, um mich herum ist alles so leise. Ähnlich, wie wenn man frühmorgens durch frisch gefallenen Schnee läuft.

Munter hänge ich in meinem Geschirr herum und freue mich, wie schön die Welt aus dieser Perspektive ist. Selten hatte ich so viel Beinfreiheit, um selbige baumeln zu lassen und plötzlich scheint die Zeit viel langsamer zu vergehen… gemütlich kreisend bewegen wir uns wieder der Erde zu, die Stück für Stück immer größer wird… zur Landung dann die Beine in die Luft und viel sanfter als erwartet kommen wir auf.

Was mich wirklich erstaunt: Ich verspüre keinerlei Erleichterung, als ich wieder auf festem Boden stehe. Warum? Weil es einfach nicht notwendig ist.

Zwar sehe ich mich eigentlich nicht gerne auf Videos, aber im freien Fall mache ich mich doch ganz gut, finde ich. Das Video gibt’s hier: EMBRACE THE FEAR

One Response to Anna auf Adrenalin

  1. Habi says:

    Hammerhart. Ich wüsste spontan nicht, was mir mehr Angst bereitet hätte – der Sprung oder dieser Mini-Flieger.

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