Chicago, 12.-15.08.2010

Ich komme in Chicago an und irgendwie fühlt es sich vom ersten Moment gut an. Extreme Hilfsbereitschaft am Fahrkartenschalter, interessante Aussichten aus dem Fenster der Bahn und zu guter Letzt ein extrem schönes, wahnsinnig professionell geführtes Hostel. Ich entschließe mich, das erste mal in meinem Leben an einem „Pub Crawl“ – einer Kneipentour – teilzunehmen, weil ich es für eine gute Gelegenheit halte, um Menschen kennenzulernen. Und das ist es auch. 6 Kneipen in ca. 3 Stunden sind ein hohes Ziel aber mit ein bisschen Disziplin geht alles und so verbringe ich den Abend mit zwei Australierinnen (die auf einer Hochzeit in den USA waren und einen Urlaub draus machen), einem Österreicher (der ein Auslandssemester beginnt und vorher noch ein wenig reist) sowie jeweils einem amerikanischen (sie geht nach Frankreich und musste wegen des Visums nach Chicago) und einem kanadischen Päärchen (auf einem Road Trip in die USA, Kurzurlaub eben). Damit haben wir -außer den Rentnern- auch fast alle Reisekategorien abgedeckt, die man so in einem Hostel trifft.

Ein sehr lustiger Abend mit vielen Geschichten, viel Gelächter und zu meinem Erstaunen bezeichnet mich der weibliche Teil des amerikanischen Päärchens im Einvernehmen mit ihrem Freund als „cool“. Das ist mir ja noch nie passiert. Aber sie meint, dass ich genau die Art von Mensch bin, die man hofft, in einem Hostel zu treffen. Jemanden, der einfach so um die Welt reist. Ich freue mich über das Kompliment. Kurze Zeit später fällt sie auf dem Weg zurück ins Hostel und bricht sich Arm und Knöchel. Das gibt dem Abend nicht nur ein sehr unschönes Ende, sondern lässt mich auch ein wenig an der Qualität der Aussage zweifeln.

Der vermutete Kater bleibt aus und bereits nach zwei Tassen Kaffee bin ich am nächsten Tag in der Lage und gewillt, mir die Stadt anzusehen. Wieder einmal scheint die Sonne und Chicago begeistert mich weiterhin. Im Millennium-Park gibt es ein Kunstwerk namens „The Bean“. Dabei handelt es sich um eine riesige Bohne aus Chrom. Ein absolut faszinierendes Gebilde, zu dem ich noch mehrfach zurückkehre. Und auch der Rest des Parks ist der absolute Hammer. Da ein gewisser Abstand zum Strand gewahrt werden muss und es dort keine Gebäude geben darf, hat man die gewünschte Bühne kurzerhand auch in ein Kunstwerk umgewandelt. Mittags gibt’s hier Proben für ein Konzert und so liege ich im Sonnenschein und betrachte die Wolkenkratzer durch die Metallstreben der Bühne. Was machen Wolkenkratzer eigentlich an einem sonnigen Tag wie heute?

Eigentlich verfolge ich ja eine kleine Stadttour, im „Lonely Planet“ aber mich zieht das Wasser das Lake Michigan magisch an. Gigantisch und schön liegt der See vor mir und ich freue mich einfach. Hin und wieder schrecke ich hoch. Ein Düsenjäger. Geräusche meiner Kindheit. Aber es ist nicht so, dass die Amis nach wie vor an dieser Tradition festhalten, es findet lediglich die „Air and Water Show“ statt. Und dafür muss man natürlich proben.

Die Stadt hat an spannenden Bauwerken noch viel mehr zu bieten, als ich lesen und in einer (kostenlosen!!!) Stadtführung erfahren kann. Mein Führer ist Jude und weit über 80. Er genießt es, Menschen aus aller Welt zu treffen und ihnen etwas über seine Stadt zu erzählen. Und da wir nur 3 Erwachsene und ein Kind sind wird es eine ziemlich gute, individuelle Führung, die statt einer fast zwei Stunden dauert. Durch Regularien wie „Abstand zum Lake Michigan“ und „Wenn du hier ein Hochhaus baust, musst du aber nebenan einen freien Platz in entsprechender Größe gestalten“ etc. ergibt sich ein wunderbares Stadtbild. Die Häuser sind sehr individuell und das obwohl die Verzierungen zeitweise in Massenproduktion hergestellt wurden und aus Katalogen bestellt werden konnten. Was nicht mehr gebraucht wird, wird zwar oft abgerissen und es entsteht neues Bauland, manchmal bleiben aber auch die Fassaden und es wird nur der hintere Teil des Gebäudes neu gebaut. Später erfahre ich auch noch von einem Haus, das keine Verankerung mit dem Boden (und auch mit sonst nix) hat. Wie das funktionieren soll, weiß ich allerdings nicht, es sei denn, Siemens hat doch endlich die Lufthaken erfunden.

Faszinierend auch der „Tribute Tower“. In den Wänden sind Steine sämtlicher bekannter Bauwerke eingemauert. Dass man ohne weiteres ein Stück Berliner Mauer für solche Zwecke nutzen kann, ist mir ja klar, aber wie bitte kommt man an ein Stück vom Taj Mahal oder der Wartburg? Läuft da ein kleiner Amerikaner mit Hammer und Meißel durch die Welt und klaut Steine?

Zusammen mit dem kanadischen Päärchen aus meinem Hostel erlebe ich dann am Abend das Konzert Millennium-Park in seiner Gesamtheit. Klassik unter freiem Himmel bei Picknick in dieser wahnsinnigen Kulisse. Und das auch noch kostenlos. Ich mag diese Stadt. Zu den letzten Klängen fängt es an zu gewittern und ich bilde mir ein, das Blitz und Pauke zusammenpassen. Welch grandiose Inszenierung!

Und am nächsten Tag gibt’s noch einen – ebenfalls kostenlosen – Salsa-Workshop. Bei der Hitze ist das mit der sportlichen Betätigung zwar ein ständiger Kampf gegen die Dehydrierung, aber den nehme ich in Kauf. Ganz offensichtlich ist man hier bemüht, seinen Einwohnern und den Besuchern so einiges zu bieten, was sie aus den Stadtteilen fern hält, in denen „Drive-by-Shootings“ an der Tagesordnung stehen. Schon erschreckend, was man so hört, gleichzeitig scheint es einem so unglaublich, wenn man sich eben nicht in den entsprechenden Vierteln aufhält.

Zitat meines Stadtführers: „Wenn du Hilfe brauchst, solltest du jemanden fragen. Anderenfalls bringst du ihn um die Möglichkeit, dir zu helfen.“

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