Wenn ich schon mal in Australien bin, dann muss ich natürlich auch Maikes Farm besuchen. So viel habe ich schon gehört von der Blumenfarm, den Kühen und natürlich von Francy und Joseph, den beiden Holländern, die es irgendwann nach Australien verschlagen hat und die jetzt ca. eine Stunde von Sydney entfernt auf eben dieser Farm und mit eben diesen Kühen leben.
Irgendwie bin ich ein wenig aufgeregt, als ich so im Zug nach St Mary’s sitze. Es ist ja schon komisch, plötzlich bei Menschen auf der Türmatte zu stehen, die man selbst nicht kennt, zu denen man aber trotzdem irgendwie eine Verbindung zu haben scheint…
Trotz all der Geschichten habe ich aber kein konkretes Bild von dem, was mich erwartet. Joseph erkenne ich aber dennoch sofort, als er mit einem kleinen, weißen Lieferwagen vorfährt und munter winkt. Er und Francy sind wirklich herzig. Etwas älter als ich dachte, unglaublich interessiert am Weltgeschehen und sich ihrer vermutlich zunehmenden Schrulligkeiten offenbar vollkommen bewusst. Irgendwann weiß auch ich, dass Joseph konstant „Oh my god…“ sagt und Francy fast ununterbrochen mit sich selbst spricht, wenn sie irgendetwas erledigt oder darüber nachdenkt, was sie noch erledigen muss. Die beiden haben in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Backpacker bei sich aufgenommen und ihnen nicht nur ihr Haus, sondern auch ihr Herz geöffnet. Unzählige Anekdoten, Erfolgsgeschichten und weniger schöne Erlebnisse haben sie so gesammelt, die sie bereitwillig mit mir teilen. Irgendwie scheinen sie mit so vielen jungen Leuten mitgereist zu sein, so viele fremde Länder sind ihnen vertraut, obwohl es hauptsächlich Joseph ist, der wirklich schon einmal dort war.
Mittlerweile nehmen sie nur noch selten Volunteers auf, gerade ist aber außer mir noch eine Französin hier. Anne-Soleine wartet auf ihren Studienplatz und nutzt die Gelegenheit, ihr Englisch zu verbessern, was ihr auch in erstaunlicher Weise gelingt. Offenbar fehlte ihr hauptsächlich der Mut zum Sprechen und so erfahre ich irgendwann, dass Francy und Joseph erstaunt sind, wie viel und wie gut sie plötzlich spricht, als sie eine fast gleichaltrige (was machen schon 12 Jahre?) Gesprächspartnerin hat.
Die Farm an sich ist nicht wirklich groß und die Blumen sind heute auch mehr Hobby, als irgendetwas anderes, denn Kunden gibt es leider nur sehr wenige. Wenn dann einmal jemand auftaucht, ist es das Highlight des Tages, alle freuen sich und sind aufgeregt und nervös. Die Rosen und Dalien und weißichwasnichtnochalles wunderschön und – wer hätte das gedacht – es gibt auch Rosen, die nicht nach Sch… Exkrementen riechen. Ganz im Gegenteil, der herrlich kühle „Flower Room“ riecht so wunderbar, dass ich ihn nur äußerst ungerne verlasse. Aber zum Glück herrscht während meines Aufenthaltes hauptsächlich Schmuddelwetter.
Außer den Blumen gibt es noch eine Hand voll Kühe, zwei Katzen und in der Garage wohnt der Papst. Bei ihm habe ich eine tägliche Audienz, denn statt fließend Latein zu sprechen, beschränkt sich dieser auf das Kürzen von Rasenflächen und in diesem Zusammenhang die Herstellung von Kuhfutter.
Meine lieben Eltern, wie konntet ihr mir durch den Mangel an Rasenflächen in meiner Jugend den Spaß am Rasenmähen vorenthalten? Es ist laut, stinkt und am Ende hat man ein wunderbares Resultat. Herrlich. Das Schönste ist, dass es bei Francy und Joseph nicht darum geht eine bestimmte Fläche auf Betonniveau zu stutzen, sondern eine Sackkarre voll Rasenschnitt zum Abendessen für die Kühe herzustellen. So kann ich mit dem Papst munter über die Wiesen fahren und es ist egal, wenn ein Stück nicht fertig wird, es unterschiedlich hoch ist, oder die Ränder nicht akkurat sind. Zugegebenermaßen überwinde ich aber bis zum Ende meines Farmaufenthalts nicht den stets in mir lauernden Drang, doch ein Quadrat zu mähen, Rasenflächen komplett zu stutzen und keine allzu munteren Muster in das Gras zu mähen… ich bin halt doch eine Ms. Monk.
Selbst die ohnehin nur wenigen Fragen, die ich mir in meinem Reisealltag stelle („Was möchte ich machen?“ und „Was esse ich heute?“) sind während meines Farmaufenthaltes hinfällig und werden durch eine strenge Routine ersetzt, die mir nicht gelegener kommen könnte.
8.30 Aufstehen, anziehen, Frühstück machen
9.00 Frühstücken (Toast mit Marmelade, Nutella oder Erdnussbutter)
Danach Aufräumen und irgendwelche Arbeiten erledigen, die erledigt werden müssen. Z.B. Unkraut zupfen, Fensterputzen..
13.00 Uhr Beim Kühe Melken assistieren
13.30 Uhr Mittagessen machen, essen (Toast mit Käse und Salat), aufräumen
Danach machen Francy und Joseph einen kleinen Mittagsschlaf und wir lesen, schreiben E-Mails oder was auch immer
16.30 Uhr Tee und Kekse
Danach noch etwas arbeiten – was auch immer anliegt – dann Audienz mit dem Papst, Blumen pflücken, sortieren, wegräumen
ca. 21.00 UhrAbendessen kochen, essen, aufräumen.
Noch ein Wenig unterhalten, fernsehen oder lesen.
00.0 Uhr (wenn ich es denn solange schaffe): ab ins Heiabettchen
Jeder Tag läuft gleich ab, ist absolut vorhersehbar und obwohl es sich um körperliche Arbeit handelt, die ich ja nun gar nicht gewohnt bin, klettere ich täglich weiter auf der nach oben offenen Entspannungsleiter. Diese Routine, sowie die Tatsache, dass ich mehrere Nächte im gleichen Bett, in einem Zimmer für mich alleine schlafe und mir mein Badezimmer nur mit Anne-Soleine teile, führen zu einer Zufriedenheit, die mich rundum erfüllt. Es ist wirklich erstaunlich, wie schön es sein kann, wenn mein zur Zeit eigentlich so spannendes und abwechslungsreiches Leben, das ich in vollen Zügen genieße, plötzlich vorhersehbar erscheint. Hier sogar so sehr, dass ich schon grinsen musste, als Joseph fragt, was für ein Wochentag sei und Francy sagt: „Gestern gab es Fisch und du isst gerade Suppe. Es ist natürlich Samstag.“
Besonders gut gefällt mir auch, dass man bei jeder Arbeit im Anschluss sieht, was man gemacht hat und dass die Tagesstruktur die Form der Arbeit und die Ausführungsintensität bestimmt. Und wenn dann eben die Kühe gemolken werden müssen, dann ist es auch nicht schlimm, wenn man das Beet nicht komplett von Unkraut befreit. Und wenn es Zeit für eine Pause ist, dann ist es Zeit für eine Pause und wenn ich die nicht regelmäßig mache, dann meckert Francy. Wenn es dunkel wird, ist ohnehin genug getan und Geschwindigkeit… was ist das? Das Wasser tropft halt eben auch nicht schneller aus dem Käse, nur, weil ich es gerne so hätte. Und selbstgemachter Käse schmeckt verdammt gut. Nur mal so nebenbei bemerkt.
So verbringe ich also eine Woche zwischen Kühen und Blumen, singe ständig „Every rose has its thorn…“ vor mich hin, wenn ich mir wieder einen wunderschönen Kratzer eingefangen habe und genieße es, dass ich beim Unkrautzupfen so im Matsch knie, dass meine Jeans komplett braun sind und unfassbar lustig stauben, sobald sie trocknen. Und irgendwann, als ich so, die Schubkarre vor mich hinschiebend durch die Wiese stapfe und dabei gehe, als wäre ich gerade mit Gummistiefeln von einer Kuh gestiegen, stelle ich fest, dass das hier sogar hinpasst und ich mich gar nicht bemühen muss, einen Gang wie in Hackenschuhen zu haben. Um diesen Moment zu feiern, wische ich mir mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn, grinse vor mich hin und singe das Pippi Langstrumpf Lied.