Melbourne II, 01.-06.02.2011

Kennt ihr das, dass man etwas plant und sich nachher fragt, warum eigentlich? So geht es mir, als ich in Tasmanien bin, meine weitere Reise plane und erst nach einiger Zeit feststelle, das es überhaupt keinen Sinn macht von Tasmanien sofort auf Great Ocean Road Tour zu gehen. Ich Lande ohnehin in Melbourne und warum bitteschön sollte die Stadt, die mir bisher am besten gefällt auch die sein, in der ich am wenigsten Zeit verbringe? Nach ausgiebigem Zweifeln an meinem eigenen Verstand gönne ich mir so noch ein paar Tage in der wunderschönen Stadt, die an einem zugegebenermaßen fiesen, stinkigen Fluß liegt.

Seit über einem halben Jahr schlafe ich nun in Hoselbetten unterschiedlichster Minderqualitäten, hatte bisher aber tatsächlich Glück, ziemlich gut in sämtliche Liegemulden hineinzupassen. Irgendwann musste es aber ja auch mit diesem Glück einmal zu Ende gehen und so plagen mich fiese Rückenschmerzen, weil offensichtlich Menschen, die nicht meine Größe hatten, mein Bett in Hobart vorgeformt haben. Irgendwie hab ich mir also irgendwas irgendwo eingeklemmt, wo es nicht hingehört und so verschreibe ich mir selbst einen Tag im Schwimmbad inkl. SPA-Bereich.

Das alte Stadtbad in Melbourne ist vor allem von Außen wirklich sehenswert. Innen ist es ein Pool, ein Whirlpool und eine Sauna, eher funktional als ästhetisch, eher alt als luxuriös. Aber ich bin ja nicht zum Spaß hier sondern verfolge einen therapeutischen Zweck. Also tue ich erst etwas für mein Gewissen und schwimme ein Stündchen, bevor ich dann darauf hoffe, dass der warme Pool, die Massagedüsen und die Sauna meine Muskeln so entspannen und ich mich wieder in alle Richtungen bewegen kann… Es fasziniert mich doch immer wieder, wie ich mich selbst von meiner eigenen Naivität überzeugen kann, denn natürlich bringt es überhaupt nichts. Also suche ich nach weiteren Erfahrungen aus meinem eigenen Leben, die mir in dieser Situation behilflich sein könnten…

In Krakau hatte ich schon mal ein ähnliches Problem… damals verschwand der Schmerz nach einer Nacht auf einem unbequemen Sitz in einem ruckeligen Zug nach Budapest… wie gut, dass Melbourne eine kostenlose Straßenbahn hat… das ist ein Versuch wert.

Aber bevor ich mich dem zweiten Therapie-Versuch hingeben kann, muss ich etwas gegen meine stets drohende Dehydrierung tun und gehe zu Aldi, der ist nämlich gleich um die Ecke. Kaum habe ich den Laden betreten, passiert, was irgendwie immer geschieht, wenn ich hier in Australien in dem Lebensmitteldiscounter ungefähr bei den Süßigkeiten angekommen bin. Hinter mir kommen zwei, meist blonde Mädels um die 20 in das Geschäft und geraten urplötzlich in Ekstase, sobald sie das Produktangebot sehen. Leise und nur für mich selbst, zähle ich von drei Rückwärts und da ist er auch schon, der Satz, der mich fast zur Weißglut bringt: „Ohhhhhh, hier fühlt man sich ja gleich wie zu Hause!“ Mädels… wenn ihr ohne Gummibärchen nicht leben könnt, dann verlasst halt net das Land!!! Und vergesst es… gescheites Brot gibt’s auch hier nicht.

Sobald ich meinen kleinen Ausbruch wieder unter Kontrolle und meine drohende Dehydrierung bekämpft habe, geht es dann also in die Straßenbahn. Diese fährt mich geduldig im Kreis um die Innenstadt und eine monotone Stimme erzählt mir auch gleich noch etwas über die Geschichte. So bin ich wenigstens etwas gebildeter, als ich – natürlich noch immer mit Rückenschmerzen – aus der Bahn steige.

Am Abend treffe ich mich mit Chris und wir gehen auf den viel gepriesenen Nachtmarkt am Queen Victoria Market. Der normale Obst-Gemüse-Souvenirmarkt hat mich trotz seines guten Rufs ja so gar nicht begeistert… Aber so viel Enthusiasmus von Seiten meiner Mitreisenden und diverser Reiseführer haben eine zweite Chance verdient ( und schließlich habe ich ja auch einige Jahre Oliven-Probieren gebraucht, bis ich sie endlich mochte).

Schon nach wenigen Minuten ist mir klar, dass es eine gute Idee war, mir meinen eigenen Australier mitzubringen. Sonst würde ich hier nämlich keinen einzigen Einheimischen sehen… kein Wunder, dass er bisher noch nie hier war. Der gesamte Markt ist voll von Backpackern auf der Suche nach günstigem Essen und billigem Alkohol. Es gibt allerhand Souvenirs zu kaufen, die zu meinem Erstaunen tatsächlich über die Schnapsgläser, Geschirrhandtücher und Schlüsselanhänger hinausgehen, die man sonst überall (und damit meine ich sämtliche Länder und Städte in denen ich bereits war) findet. Dafür singt ein Asiate irgendeine Schnulze. Diesen Auftritt kann man mit viel Wohlwollen allenfalls „mutig“ nennen… mein Versuch den Begriff „fremdschämen“ ins englische zu übersetzen scheitert kläglich… schade eigentlich… ist doch so ein schönes Wort… zu dumm, dass mir jedesmal ein Schmerz durch den Rücken fährt, wenn ich lache.

Auch wir suchen uns etwas zum Essen (abgesehen von australischer Küche kann man hier wirklich alles bekommen) und verlassen dann schnellstmöglich das Marktgelände in Richtung Fitzroy, einem Stadtteil, den ich bisher noch nicht gesehen habe, der mir aber zugegebenermaßen ziemlich gut gefällt. Auch hier gibt es wieder nette Kneipen, Bars und Cafés… der „Lonely Planet“ hat Recht: in dieser Stadt geht es wirklich hauptsächlich um Essen und Trinken. Vor einigen Jahren wollte Starbucks hier eine Filiale aufmachen, woraufhin die Einwohner protestiert haben, aus (begründeter) Furcht, dadurch könnte die Café-Kultur zerstört werden. Was soll ich sagen… es gibt nach wie vor keinen Ableger der amerikanischen Kaffee-Kette…

Auf dem Nachhauseweg (oder sollte ich sagen Nachhostelweg?) sehe ich zum ersten Mal in meinem Leben Possums in freier Wildbahn. Mann sind die süß!!!! Nachtaktiv, wie sie nunmal sind, tummeln sie sich in den Bäumen und starren einen mit Riesenaugen an. Irgendwie hat dieser Kontinent einfach unglaublich viele niedlich-lustige Tiere. Das gleicht fast wieder aus, dass einen die andere Hälfte mal eben um die Ecke bringen könnte… vielleicht hätte ich doch nicht Bill Brysons „Frühstück mit den Kängurus“ lesen sollen. Der Gute gerät nämlich wegen all der lebensgefährlichen Viecher ziemlich in Panik und beschreibt es mit einem solchen Humor, dass ich ebenfalls über eine übertriebene Angst nachdenke. Aber ich bin in einer Stadt und da es nicht Sydney ist (dort gibt es die giftigste aller Spinnen), kann ich doch beruhigt schlafen gehen.

Am nächsten Tag schaffe ich es dann endlich, mich mit Aafke zu treffen, der Holländerin, die ich aus Neuseeland kenne. Seit Christchurch haben wir beide einiges gesehen und erlebt und so dauert es einige übergroße Heißgetränke lang, bis wir uns über sämtliche Neuigkeiten ausgetauscht haben. Irgendwie lustig wenn man eine Zeit lang zusammen gereist ist, also ein gewisses Vorwissen hat und man sich dann Monate später wieder trifft und die „Lücken“ füllt. Aafke hat das zweite Beben in Christchurch miterlebt (das über Weihnachten), weil ihr (ausgerechnet in Neuseeland) ihr Rucksack mitsamt Reisepass geklaut wurde und sie nicht wie geplant nach Australien reisen konnte. Wegen dieser Planänderung war sie dafür dann nicht in Queensland, als die Flut kam… schon komisch, wie das Leben manchmal so spielt.

Auf der Suche nach einer angemessenen Abendgestaltung stolpere ich dann über ein Filmprojekt im „Australian Centre of the Moving Image“. Vier Personen ziehen eine Stunde vor Vorstellungsbeginn mit jeweils einer Kamera los, nutzen die Stadt als Kulisse und Passanten als Statisten. Vorgeführt werden dann alle vier Filme parallel und es wird live entschieden, welcher Ton wann zu hören ist, wo es Musik gibt etc. Ich finde, das klingt spannend, kann aber leider niemanden davon überzeugen, sich mit mir auf dieses Kinoerlebnis einzulassen (und dabei hatte ich mich doch so gefreut in einer Stadt zu sein, in der ich Menschen kenne) und gehe alleine hin.

Ziemlich genau auf der Mitte des Weges zwischen Hostel und Kino, fängt es plötzlich an zu regnen. Ich habe Glück und kann mich durch einen geschickten Sprung gerade noch in die überdachte Einfahrt eines Hotels retten, bevor der Himmel seine Schleusen öffnet und solche Wassermassen entlässt, wie ich es noch nie erlebt habe. So stehe ich eine Weile herum und starre in den Regen. Eine unglaublich romantische Situation, die ich da mal wieder mit mir selbst erlebe. In den ersten Minuten beobachte ich noch Menschen, die auf der Suche nach einem Unterschlupf durch den Regen rennen. Bereits nach kurzer Zeit rennt niemand mehr… wer jetzt noch draußen ist, ist ohnehin nass bis auf die Knochen.

Zum Glück hört der Regen irgendwann auf (wenn man sich in einem Land befindet, das zum Teil überschwemmt ist, beschleicht einen nach der Romantik doch irgendwann eine dezente Panik, wenn man so einen Regen sieht) und ich kann meinen Weg zum Kino fortsetzen.

Die Vorstellung beginnt damit, dass wir (die Zuschauer), die vier Schauspieler, die nur Unterwäsche tragen, im Treppenhaus mit Wunderkerzen und allerhand Lärm begrüßen und somit Teil der letzten Szene des Films sind. Danach geht’s in den Kinosaal und schnell wird mir klar, warum mir das Konzept irgendwie bekannt vorkam. Die Gruppe ist zwar international, ihr Ursprung aber liegt in München und Berlin. So gut mir die Idee auch gefällt, der Film an sich ist nicht so spannend… die Schauspieler haben das wohl schon zu oft gemacht… irgendwie fehlt die Spannung. Schade, es hätte so schön sein können… Irgendwie frustriert mich das…Vielleicht hätte ich doch lieber irgendwas anderes tun sollen, statt alleine ins Kino zu gehen, um mir ein Experiment anzusehen, das mich nicht vom Hocker reißt… und so wirklich günstig war es auch nicht… Auf dem Weg ins Hostel regnet es natürlich noch wieder und ich kaufe mir einen riesigen Keks und verfalle gerade so richtig schön in Selbstmitleid als ein Lastwagen neben mir durch eine Pfütze brettert und mir somit eine Dusche in Dreckwasser spendiert. Wer auch immer Drehbuchautor meines Lebens ist, mag offensichtlich die Klassiker. Und er weiß, dass er mich damit zum Lachen bringt.

Melbourne ist eine dieser Städte, in denen man einfach nur herumgammeln und die Atmosphäre genießen kann. Alleine die Tatsache, dass es am „Federation Square“ (in alten europäischen Städten gibt es Marktplätze, die Aussies mussten sich extra einen zentralen Platz bauen) kostenloses Wi-Fi gibt, macht mich schon ziemlich glücklich und so verbringe ich unglaublich viel Zeit im Internet (weil ich’s kann) und bei kleinen, gemütlichen Spaziergängen. Außerdem besuche ich die National Gallery of Victory, ein unglaublich riesiges Kunstmuseum. Fast beeindruckender als die Bilder ist das Gebäude selbst… vor allem der Wasservorhang am Eingang… und natürlich weiche ich den kulinarischen Genüssen nicht aus, schließlich sind diese Teil der Stadt.

Und so sitze ich an meinem letzten Tag am Ufer des unglaublich dreckigen Yarra River und trinke einen der hier so beliebten Fruchtshakes. Die Sonne scheint mir auf die Nase und der Straßenmusiker hinter mir spielt auf seiner Gitarre „Take Five“… Zum ersten Mal auf meiner Reise verspüre ich eine gewisse Wehmut, weil ich Melbourne schon morgen verlasse… ja… irgendwie hat sie mich gefangen, die Stadt, in der es aus einem mir nicht bekannten Grund Petersilie in den Blumenkästen vorm Rathaus gibt.

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