Irgendwann entstehen gewisse Routinen, die ich nach all der ereignisreichen Zeit, in der jeder Tag ganz anders ist, als der vorherige, wirklich schätze. Hier verschwimmt die Zeitebene etwas, denn natürlich dauert es etwas, bis diese wirklich entstehen und wie es die Jahreszeit so will, ändert sich in diesem Zeitraum sogar das Jahr.
Ich weiß nicht mehr wann ich die immer gleichen Abläufe bemerke, ob diese überhaupt so gleichförmig sind, wie sie mir erscheinen, aber ich finde es einfach unglaublich schön, mich jeden morgen mit dem immer gleichen Frühstück (Cerealien mit Milch, Tee und Toast) zu dem selben Österreicher (Daniel) im Hinterhof zu setzen, der den letzten von zwei Espressos (Espressi, Espressata was auch immer) trinkt, die er sich von „Pie Face“ gegenüber geholt hat. Nach wenigen Bissen gesellt sich dann unser Inder (Dhiren, der ja eigentlich Südafrikaner ist) hinzu und beginnt irgendein Gespräch mit Smalltalk-Charakter, zwischenzeitlich begnügen gerne mal zwei Franzosen (Babtiste und Emilien) mit ihrer Anwesenheit und während ich die Reste meines Kaffees trinke, kommt eine andere Deutsche (Nadine) hinzu. Wir bleiben ein Weilchen sitzen, quatschen und kommen irgendwann zu einer Entscheidung was wer wann und wie an diesem Tag tut. Mal alleine, mal gemeinsam, in welchen Kombinationen auch immer.
Natürlich gibt es in dem Hostel noch viel mehr Menschen, mit denen man immer mal ein paar nette Worte wechseln kann, wie z.B. den US-Soldaten, die beiden Iren, die irgendwo in Australien in zwei vollkommen verschiedenen Minen arbeiten, das italienisch-englische Mädel, das immer so böse guckt, den Texaner mit den türkisfarbenen Cowboystiefeln, der nicht spricht, aber laut seinem T-Shirt mal an einem Schafscher-Wettbewerb teilgenommen hat, den Spanier, der auf seinem Laptop elektronische Musik fabriziert und zu hoffen scheint, damit einmal groß heraus zu kommen, den Deutschen, der glaubt, ich wäre Journalistin, weil man in meinen Unterhaltungen angeblich eine ausgefeilte „Interviewtechnik“ erkennen kann (und er weiß das, weil er selbst bei „den Medien“, genauer gesagt „beim Fernsehen“ arbeitet), die zahlreichen Schweden, die mich immer wieder fragen, ob ich denn schon abreise, weil sich mein Hab und Gut in meinem Rucksack befindet und nicht überall im Zimmer und nicht zu vergessen den Japaner, der aber eigentlich Belgier ist. Eine bunte Mischung lustiger Charaktere, herrlich zu beobachten und zu studieren.
Ich wüsste wirklich gerne, viele Kilometer ich in dieser Zeit so durch Sydney laufe. An einige Orte zieht es mich immer wieder, meine Ausrede ist, dass ich die Oper gerne mit blauem Himmel fotografieren möchte, aber wenn ich mal ehrlich bin (und mal darüber nachdenke, wie oft ich dort bzw. am Hafen noch lande, als ich meine Touri-Fotos schon gemacht habe), so hat das Wasser einfach mal wieder eine große Anziehungskraft auf mich, der ich weder widerstehen kann, noch will. Sydney ist definitiv eine schöne Stadt. Nicht überwältigend, aber schön. In manchen Ecken ein Bisschen zu gestylt, zu touristisch, zu viel Bürooptik, ja, fast ein Wenig zu perfekt herausgeputzt. Aber trotzdem schön.
Es macht großen Spaß, durch die Straßen zu ziehen, auf’s Wasser zu starren, wenn es denn nicht regnet in der Sonne zu brutzeln und die Stadt auf mich wirken zu lassen. Je länger ich hier bin, desto mehr gewinnt die Stadt mich.
Anfang Januar hat unser Inder Geburtstag, bekommt zu seiner großen Überraschung von uns eine Torte mit Kerzen und darf sich aussuchen, was er an diesem Tag unternehmen möchte. Mittlerweile hat sich die Besetzung des Hostels schon deutlich verändert, überall sind neue Gesichter und nachdem sich auch Nadine am Morgen verabschiedet, sind tatsächlich nur noch Dhiren, Daniel und ich die Teilnehmer des „Inder-Geburtstags“ (und ihr glaubt gar nicht, wie lange ich mich schon auf dieses Wortspiel freue!!!).
Unser Inder sträubt sich weniger dagegen, sich vollkommen dem klassischen Tourismus hinzugeben und daher besteigen wir den „Sydney Tower“. Nein, das ist das falsche Verb, denn wir fahren gemütlich mit dem Aufzug nach oben und lassen uns auf dem Weg noch vor einer grünen Wand fotografieren, die dann später durch spektakuläre Perspektiven ersetzt wird… wunderhübsch und ja… er kauft die Fotos sogar. Ich hingegen nehme mir vor, beim nächsten Mal ein grünes T-Shirt zu tragen.
Sobald man irgendwo hinauf will, gibt es wohl eine gewisse Angst, dass jemand etwas Böses tun könnte. Trotzdem gelingt es mir, mein Taschenmesser durch die Sicherheitskontrollen zu schmuggeln. Wie gut, dass ich so ein netter Mensch bin und keinerlei Ambitionen habe, damit irgendetwas anderes zu tun, als mein Mittagessen zuzubereiten.
Die Aussicht ist, wie von allen Türmen, auf denen ich bisher war, von oben herab auf eine Stadt, die etwas anders aussieht als andere Städte, aber trotzdem die klassischen Features wie Hochhäuser, Bürogebäude, Einkaufszentren und Parks erkennen lässt. Immerhin lerne ich, dass die Schienen auf den Dächern nicht für kleine romantische Stelldicheins in Mini-Zügen oder Hochhaus-Selbstmord bei Höhenangst gedacht sind, sondern zum Fensterputzen notwendig sind… macht ja irgendwie auch mehr Sinn.
Ich glaube, es war eine gute Entscheidung, dass ich mich auf dieser Reise bisher von den hohen Gebäuden fern gehalten habe, das mache ich erst in Malaysia wieder. Und da erwarte ich mir wirklich etwas Spektakuläres. Bis dahin bleibe ich bei Bergen. Die hab ich doch mittlerweile so gerne.
Danach geht’s ins Aquarium, das hingegen hatte ich mir wirklich für Sydney aufgehoben, auch wenn schon viele andere Städte von sich behauptet haben, die besten Fische in Glascontainern zu haben. Das Sydney Aquarium war vor einigen Jahren sicherlich grandios und modern. Heute habe ich an manchen Ecken wirklich Angst, dass eine Glasscheibe herausfallen könnte und ich zuerst nass und dann von irgendeinem Hai gefressen werde. Zugegebenermaßen ergibt sich dadurch ein Hauch von Spannung… der sich aber schnell wieder erübrigt. Hier sind so viele Kinder, die sind viel zarter und werden daher vermutlich ohnehin zuerst gefressen…. also kehren wir die Nahrungskette um und gehen auf den Fischmarkt.
Meine lieben Damen und Herren vom „Lonely Planet“, ihr wart mir bisher eine große Hilfe, habt mir schöne Orte gezeigt und mich vor Touristenfallen gewarnt, aber nach den Blue Mountains ist der Fischmarkt trotz ultimativer Lobhudelei schon der zweite Reinfall. Der „Markt“ ist eine überfüllte Halle, die ich eher als „Food Court“ zum Thema Fisch und Meeresfrüchte bezeichnen würde. Erwartet habe ich Stände mit auf Eis liegendem Frischfisch, fiesen Geruch, Marktschreier… ihr wisst schon…. Atmosphäre. Aber hier ist es einfach nur stickig und voller europäischer sowie asiatischer Touristen, die Berge von frittiertem Ozeanobst (wieder einmal muss ich feststellen, dass die Verwendung zweier Synonyme der Bestandteile eines zusammengesetzten Hauptworts nicht unbedingt ein Synonym für dieses ergeben) zu sich nehmen… nicht schön…
Muss ich mich etwa schon wieder mit dem Thema „Erwartungen“ auseinander setzen? Ich versuche doch schon, möglichst unvoreingenommen auf alles zuzugehen, aber so wirklich zu gelingen scheint es mir nicht. Ich genieße meine Zeit in und um Sydney wirklich ausgesprochen, was ich so sehe und tue reißt mich allerdings alles nicht vom Hocker. Vermutlich bin ich durch meine bisherige Reise verwöhnt und irgendwie nach wie vor reizüberflutet. Ich brauche ganz dringend weniger Eindrücke.
Die einzige Ausnahme, etwas, das meine Erwartungen tatsächlich übertrifft, ist der Besuch der Oper. Mit Anke habe ich beschlossen, dass das ja wohl irgendwie zu einem Sydney-Aufenthalt dazu gehört und so haben wir Tickets für eine Varieté-Show mit dem Titel „Soap“ erstanden. Hauptsächlich, weil das Plakat gut aussah und das Datum passte. Und diese Show aber ist wirklich grandios. Ja, im Prinzip hat man alles schon mehrfach gesehen: Menschen, die an zwei von der Decke hängenden Tüchern herumturnen, Opernsängerinnen, Comedians, Balance-Akte… kennt man. Hier aber dreht sich alles um das Bühnenbild und das besteht aus mehreren, zum Teil mit Wasser gefüllten Badewannen. Unglaublich, wie die gleichen Akrobatik-Nummern an Spannung gewinnen, wenn sie auf, um und in einer Wanne stattfinden! Faszinierend und von der ersten Sekunde an begeisternd. Da ist es auch egal, das wir uns im Zuschauerraum einer kleinen Bühne im Operngebäude befinden und leider doch nicht mitbekommen, wie es dort drinnen eigentlich so aussieht…
Und noch etwas haut mich in Sydney von den Socken, oder wetterbedingt wohl eher aus den Sandalen: Die Fledermäuse. Abends, kurz bevor die Sonne untergeht, wundere ich mich plötzlich über einen extrem tieffliegenden Vogel, der gar keiner ist. Es ist eine „Fruit Bat“. Und wo eine ist, sind noch mehr. In ganzen Schwärmen fallen sie plötzlich ein, schreien herum, hängen sich an Bäume, fliegen mit ihrer wunderschönen Form durch den sich verdunkelnden Himmel und haben irgendwie etwas gruselig-gespenstisch-schönes. Ihre Gefährlichkeit besteht dabei aber hauptsächlich darin, dass sich mein Blick gen Himmel wendet und ich konstant vor mich hinstolpere… Faszinierende Tiere, die mir auch noch den Gefallen tun, an Hochhäusern vorbei und um Kirchtürme herum zu fliegen. Alles bestimmt nur, um mir noch schönere Bilder für meine Erinnerung zu schenken, denn trotz aller Bemühungen klappt das mit dem Fotografieren natürlich nicht wirklich. Wie ging nochmal die Titelmelodie von Batman?